Seminar

Theodor W. Adorno – Philosophie der Neuen Musik

Lehrende: Voigt
Fachbereich: Musikwissenschaft
Start: 19.04.2023
Tag: Mittwoch 10:00–12:00
Raum: HS 1119
Zielgruppe:

Für alle Interessierten, Voraussetzung ist die abgeschlossene Einführungsveranstaltung der Musikhochschule

Modul:
Abschluss:

Benoteter oder unbenoteter Schein

Was bedeutet die Musik Schönbergs, Weberns oder Strawinskys? Was sagt sie über die Welt, der sie entstammt? Wie stehen die Neue Musik des frühen 20. Jahrhunderts im Kontinuum der Musikgeschichte? Und wie steht sie zur Aufklärung und ihrem Umschlag in Totalitarismus und nackte Gewalt während Faschismus und Weltkrieg?

Das sind die Fragen, die Theodor W. Adorno 1948 in seiner Philosophie der Neuen Musik ausgehend von der Gegenüberstellung der »Extreme« Schönberg und Strawinsky adressiert:

»Einzig in den Extremen findet das Wesen dieser Musik sich ausgeprägt; sie allein gestatten die Erkenntnis ihres Wahrheitsgehalts.«

Adornos Anschauung, dass Musik »wahr« sein kann, und damit Entlarvung des inneren Wesens gesellschaftlicher Strukturen – nicht bloß die Spiegelung sozialer Fassaden – nimmt Kunst in außer-ordentlicher Weise in die Pflicht. Adorno fragt in seiner »Philosophie der Neuen Musik« nicht nach semantisch evidenten Agenden von sozial »funktionaler« Musik, sondern nach den Strukturen »autonomer« Musik. Letztere habe sich, wie Adorno meint, in der Kunstwelt ihrer technischen Eigengesetzlichkeit von der operativen Gesellschaft abkapselt und könne gerade deshalb gesellschaftlich tief Verborgenes in sich trage und offenbaren. Die Musik, der Adorno dieses Erkenntnispotenzial zuspricht, ist die (nach Adornos Kriterien) avancierteste ihrer Zeit, die sich an zwei Extrempunkten fassen lässt: »Schönberg und der Fortschritt« sowie »Strawinsky und die Regression«. Hier der Wandel von der Freiheit expressionistischer Atonalität zur Determination der Zwölftontechnik, da der Wandel vom drastischen Archaismus des »Sacre du Printemps« zum fast postmodern anmutenden eklektischen Neoklassizismus. Mit dieser Gegenüberstellung ist die 1948 abgeschlossene »Philosophie der Neuen Musik« ein Kommentar zu wesentlichen Beständen der Musikgeschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Adornos Lesung dieser Bestände spiegelt den Schock der Katastrophe von Faschismus, Krieg, Völkermord und Gewaltherrschaft als Kehrseite der fortschrittlichen Kultur der Aufklärung. Dabei folgt sie der intellektuellen Sozialisation ihres Autors in hegelscher Geschichtsdialektik, marxistischen Prämissen und bürgerlicher Kunstanschauung. Als Zeitzeugnis ist diese Konstellation genauso interessant, wie die musikgeschichtliche Situation, die Adornos höchst einflussreiches Buch untersucht.

Im Seminar werden wir beides kennenlernen: Adornos in seiner Tragweite faszinierenden Text und die Musik, der er gewidmet ist. Wir lesen und besprechen die »Philosophie der Neuen Musik« sowie fürs Verständnis wichtige Kon-Texte und hören und analysieren die Werke, die darin besprochen werden – um Musik und Musikphilosophie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts besser zu verstehen, und weil die Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Gesellschaft ungebrochen relevant ist. Wiesehr sich unser heutiges Musikdenken von dem von vor fast 100 Jahren unterscheidet, wird sich im Gespräch zeigen.

Hinweis für Studierende der Musikhochschule: Wenn Sie eine unserer Veranstaltungen besuchen möchten, wenden Sie sich bitte vorab an die jeweiligen Dozierenden.

Literatur:
  • Theodor W. Adorno: Philosophie der Neuen Musik, Frankfurt a.M. 2003. (=Theodor W. Adorno, Gesammelte Schriften, Bd. 12) Im Anhang des Buchs steht ein Verzeichnis der besprochenen Kompositionen Schönbergs, Bergs, Weberns und Strawinskys. Noten und Aufnahmen finden Sie zum einlesen und einhören in der Bibliothek oder Online.