Seminar

Fragen zur musikalischen Interpretation

Lehrende: Klein
Fachbereich: Musikwissenschaft
Start: 23.04.2020
Tag: Donnerstag 18:00–20:00 Raum: online (GLAREAN), Details folgen)
Raum: Online (über GLAREAN), Details folgen)
Zielgruppe:

für alle Musiker*innen, die ihr Instrumental- oder Gesangsstudium auch intellektuell ernst nehmen und an philosophischen Fragen interessiert sind.

Modul:
Abschluss:

nichtqualifizierter Schein, qualifizierter Schein: Bedingung Hausarbeit.

Die Differenz von Text und Aufführung gehört zu den grundlegenden Denkmustern der Musikwissenschaft. Sie prägte den Begriff des  musikalischen Kunstwerks und gab ihm seine materielle Grundlage, den Notentext. Lange Zeit fand die Diskussion über Praxis und Geschichte musikalischer Aufführung außerhalb des akademischen Systems statt. Das brachte eine Wertvorstellung mit sich, in der der Text die musikalische Praxis dominiert und Musikgeschichte als Kompositions- und Werkgeschichte festlegt.

Nun ist aber die Kategorie der Aufführung seit den letzten Dezenninen einem großen Wandel ausgesetzt. Nicht nur ist die Performance  zunehmend in die Mitte des  Werkverständnisses gerückt, sondern es werden verschiedene Textsorten auf ihre Performanz hin befragt. Das Internet spielt dabei eine sehr große Rolle. Die Folge ist, dass der Werkbegriff von nicht wenigen Zeitgenossen als überholt angesehen und durch die Rede von Praktiken bzw. Medien abgelöst wird. Ich denke aber, dass es nicht darauf ankommt, den Werkbegriff abzuschaffen, sondern ihn kritisch zu reflektieren, zu verändern.

Lehrreich ist in diesem Kontext Theodor W. Adornos Nachlassfragment Zu einer Theorie der musikalischen Reproduktion.  Der Erfahrungshintergrund, von dem aus der Philosoph schreibt, ist nicht der eines stillen Hörers von Konzerten oder Schallplatten, sondern der eines praktizierenden Musikers, der vor der Aufgabe steht, Werke von Beethoven, Schubert, Chopin, Schönberg, Brahms u. a. zur Darstellung zu bringen. Früher wollte man in Adorno nur den Asketen und intellektuellen Zuchtmeister sehen, der dem sinnlichen Ereignis von Musik abhold seine Befriedigung ausschließlich in Partiturlesen und der Analyse von »Strukturen« findet. Das vorliegende Buch korrigiert diese These überraschend deutlich.

Adorno stellt Fragen, die prima vista veraltet, quasi klassisch scheinen, es aber durchaus sind. Es sind Fragen wie: Warum müssen wir zwischen wahrer und falscher Interpretation unterscheiden? Ist das nicht dogmatisch? Müssen wir nicht vielmehr »plural« oder »tolerant« denken? Ist es überhaupt möglich, von einer wahren Interpretation zu sprechen, wenn Interpretieren doch ständig geschichtlichen Veränderungen und persönlichen Optionen unterliegen? Aber ist normativ gleich dogmatisch?

Beide Probleme werden uns beschäftigen: die geschichtlichen Veränderungen des Verhältnisses von Text und Aufführung einerseits und die normativen Fragen des Interpretierens andererseits.t

Die extreme derzeitige Situation, die keinen Zugang zu Buchhandlungen und Bibliotheken und auch nicht zu Copy-Lälden erlaubt, nötigt uns zu einer gewissen Vereinfachung. Das Seminar wird sich jetzt primär auf Adornos „Fragmente zur Theorie der musikalischen  Reproduktion“ konzentrieren. Das bedeutet praktisch, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich den Band von Adorno  kaufen müssen. Ich möchte normalerweise nicht, dass den Studierenden viel Kosten für ein Seminar entstehen. Aber in diesem Fall ist es alternativlos. Allerdings ist nicht so schlimm, wie es klingt, der Band ist als Taschenbuch bei Suhrkamp für 13, 00 EUR und bei Euro-Book in Exemplaren für 10, 00bis 13. 00 EUR erhältlich.  Es handelt sich um ein Buch, das ohnehin jeder Musiker zuhause liegen und gelesen haben müsste.

Weitere Daten und Informationen, insbesondere die zu unserem Seminar als "Video-Konferenz" kommen in den nächsten Tagen.

Literatur:
  • Adorno, Theodor W.: Zu einer Theorie der musikalischen Reproduktion. Aufzeichnungen, ein Entwurf und zwei Schemata, hrsg. v. Henri Lonitz, Frankfurt a. M. 2001. Der Band ist als Taschenbuch bei Suhrkamp für 13, 00 EUR erhältlich. Bork, Camilla: Text versus Performance. Zu einem Dualismus der Musikgeschichtsschreibung, in: Historische Musikwissenschaft. Grundlagen und Perspektiven, hrsg. v. Michele Calella u. Nikolaus Urbanel, Stuttgart / Weimar 2013, S. 383-401. Münzmay, Andreas / Saxer, Marion (Hrsg.): Musikalische Interpretation im Dialog. Musikwissenschaftliche und künstlerische Praxis, München 2017.