Vorlesung

Orgelkunst zwischen 1350 und 1650

Lehrende: Konrad
Fachbereich: Musikwissenschaft
Start: 20.04.0021
Tag: Dienstag 10:00–12:00
Raum:
Zielgruppe:

Für alle Interessierten

Modul:
Abschluss:

unbenoteter Schein

Orgelneubauten der letzten Jahre (z. B. Elbphilharmonie Hamburg, Kulturpalast Dresden, Musikkens Hus Aalborg/DK) zeigen erneut, was „Orgel“ in ihrer Geschichte schon immer war: ein Knotenpunkt technischer Raffinesse. Weit entfernt ist dann die Vorstellung, Orgeln seien maximal dazu da, die Intonation und Tempi im gottesdienstlichen Liedgesang abzustützen… Und selbstverständlich soll nicht diese minimalistische Episode des Orgelspiels Inhalt der Vorlesung sein, sondern ein Entwicklungszeitraum, in dem die „technische Raffinesse“ in Orgelbau und Orgelspiel unumschränkt im Fokus stand.

Für diese Bewunderung der Orgel als einer komplexen Maschine liegen aus dem mittleren 14. Jahrhundert erste handfeste Dokumente vor. Einen atemberaubenden Prozess durchlief die Orgel im 15. Jahrhundert; sie wurde registrierbar – oder, technisch gesprochen: Es gelang, die Funktionsweise mehrschichtig auf der Basis von Ja-Nein-Informationen zu regulieren. Tasten sind entweder gedrückt oder in Ruheposition, Register entweder gezogen oder nicht (zudem in Gruppen miteinander kombinierbar), ganze Teilwerke dementsprechend bald spielbar gemacht, bald „stillgelegt“ oder auch untereinander gekoppelt. Die Vorstellung, hier sei ein lokales Computernetzwerk (wenngleich ohne Rechen- oder Speicherfunktion) vorweggenommen, ist nicht ganz abwegig; Rechenmaschinen der Zeit waren weitaus weniger komplex.

Aus der technischen Raffinesse resultierten hohe Anforderungen an die Spieler. Und da die Entwicklungsschritte atemberaubend schnell aufeinander folgten, konnte sich kein Organist auf den Lorbeeren, die er einmal errungen hatte, ausruhen. Also hat man sich selbstverständlich auch mit Musik auseinanderzusetzen – und handelt sich dort schon die nächste Herausforderung ein: mit der Verschriftlichung. Denn Orgelspiel ist zuallererst eine solistische Kunst und lädt folglich großflächig zu Improvisation ein. Dies erklärt, warum die Überlieferung viel spärlicher fließt als die der Musik für viele Sing- oder auch Instrumentalstimmen.

Und dies wiederum erklärt, warum man musikhistorisch umdenken muss, wenn es um die Orgel geht. Denn die musikhistorischen Bilder sind von schriftlich festgehaltener Ensemblemusik dominiert: von einer Satzgestaltung für vier menschliche Singstimmen (Sopran, Alt, Tenor, Bass), die selbstverständlich nicht genauso aussehen kann, wenn es um Musik für zwei Hände (bisweilen ergänzt durch zwei Füße) geht. Welche Folgen hat dies teils in der Kirche, teils in weltlicher Musik? Und wie konnte es obendrein gelingen, dass die Tradition des Orgelspiels weitgehend unbeschadet aus den reformatorischen Prozessen herauskam und dass gerade in ihr im 17. Jahrhundert neue Impulse gesetzt worden sind?

Um diese Geschichte, die im mittleren 14. Jahrhundert zwischen Sussex und Gotland ansetzt, soll es in der Vorlesung gehen. Wir werden zunächst die Orgel-Entwicklungsstände um 1650 in den Blick nehmen (als Ziel des Vorlesungsthemas) und uns dann, ansetzend im 14. Jahrhundert, befassen mit der Bauentwicklung, der (damit verknüpften) Stilentwicklung und liturgischen Rahmenbedingungen. Die Etappen werden jeweils an exemplarischen Quellen erschlossen, die einer genauen Lektüre unterzogen werden. Wenn Sie also Lust auf eine Musikgeschichte haben, die neben den Noten auch das Gegenständliche in den Blick nimmt und sich im Musikalischen eher mit Adam Ileborgh, Hans Buchner und Jan Pieterszoon Sweelinck abarbeitet als an Johannes Ockeghem, Josquin Desprez und Palestrina: Dann sind Sie hier herzlich willkommen.

Anmerkung

Die Vorlesung ist nicht im Sinne eines allgemeineren musikhistorischen Überblicks über die in Frage stehende/n Epoche/n konzipiert, sondern wendet sich spezielleren Fragen zu.