Seminar

Proseminar/Hauptseminar: Diagrammatik in musiktheoretischen Kontexten

Lehrende: Voigt
Fachbereich: Musikwissenschaft
Start: 23.04.2021
Tag: Freitag 12:00–14:00
Raum:
Zielgruppe:

Für alle Interessierten, Voraussetzung ist die abgeschlossene Einführungsveranstaltung der Musikhochschule und vertiefte Kenntnisse im musikwissenschaftlichen Arbeiten.

Modul:
Abschluss:

benoteter Schein

Diagrammatische Repräsentation von Musik prägt unseren Alltag. Standard-Notation basiert auf der Visualisierung von Tonhöhen in der Zweidimensionalität des Liniendiagramms, der Quintenzirkel veranschaulicht elementare Relationen von Tonarten topographisch und macht sie handhabbar.

Die diagrammatische Visualisierung musikalischer Sachverhalte ist so alt wie das in Schrift dokumentierte Denken über „Musik“ selbst. Schon im 2. Jahrtausend v.Chr. zeigt ein Stern-Diagramm die Stimmungen der Leier und damit das „musiktheoretische“ System des alten Mesopotamien. In der griechischen und römischen Antike sind Tonsystem, Monochordteilung und Modi die Objekte diagrammatischer Darstellung gewesen. Sie wurden mit den Texten der antiken ars musica im europäischen Mittelalter übernommen und re-interpretiert. Seither sind Schaubilder aus der europäischen Musiktheorie nicht wegzudenken. Ihr Spektrum reicht von den Blockdiagrammen der Musica enchiriadis (Ende 9. Jahrhundert) über die „guidonische Hand“ (seit dem 12. Jahrhundert), die Scala decemlinealis (seit dem 14. Jahrhundert) oder das Tonnetz (seit dem 18. Jahrhundert) bis zu den komplexen Schaubildern der Neo-Riemannian und Transformational Theory der letzten Jahrzehnte.

Neben diesen westlichen Beispielen finden sich musiktheoretische Diagramme in gleicher Intensität auch in außereuropäischen Kulturen. Die arabische Musiktheorie fußt beispielsweise auf den gleichen antiken Theorietraditionen, deren diagrammatische Modelle entsprechend anders adaptiert und weitergedacht wurden.

Das Seminar arbeitet einerseits an diachronen und transkulturellen Stichproben von der Antike bis heute, andererseits an und mit der Methodik der jungen medienphilosophischen Forschungsrichtung Diagrammatik. Ziel des Seminars ist es, Eckpunkte eines Überblicks über die Rolle von Schaubildern in der Musiktheorie westlicher und Antike-basierter außereuropäischer Kulturen zu gewinnen: Was wurde durch Diagramme dargestellt? Welche Bildmodelle lassen sich erkennen? An welche Fach- und Wissenstraditionen sind sie gebunden? Welche Dimensionen von musikbezogener Erkenntnis werden erst durch die Diagramme erst ermöglicht?

Das Seminar richtet sich primär an fortgeschrittene Studierende BA und MA der Musikwissenschaft und an Studierende der Musiktheorie. Ihre eigenen Interessen sind für die konkrete Gestaltung des Seminars entscheidend. Lassen Sie uns daher möglichst bald wissen, für welche Epoche, Gegenstände oder Theoretiker sie sich interessieren, dann können wir Ihre individuellen Interessen gleich vorbesprechen und in den Seminarablauf einplanen.

Literatur:
  • Sybille Krämer, Figuration, Anschauung, Erkenntnis: Grundlinien einer Diagrammatologie, Frankfurt 2016.
  • Jöran Friberg, “Seven-Sided Star Figures and Tuning Algorithms in Mesopotamian, Greek, and Islamic Texts”, in: Archiv für Orientforschung, 52 (2011), S. 121-155
  • Jakob Rieke, „Cycling in Tonal Space. Neo-Riemannian Theory in der dritten Dimension” in: ZGMTH 16 (2019), S. 41–65.