Seminar

Proseminar/Lektürekurs: Musiklehre der „Kompendien“ des 16. und 17. Jahrhunderts

Lehrende: Küster
Fachbereich: Musikwissenschaft
Start: 20.04.2021
Tag: Dienstag 14:00–16:00
Raum:
Zielgruppe:

Für alle Interessierten, Voraussetzung ist die abgeschlossene Einführungsveranstaltung der Musikhochschule.

Modul:
Abschluss:

benoteter Schein

Was verbindet um 1600 einen Hamburger Kaufmann, einen Frankfurter Ratsherrn, einen Dresdner Juristen und einen württembergischen Theologen miteinander? Dass sie zur Musik einen Zugang erhalten hatten, und zwar einen praktisch identischen – noch dazu denselben wie auch ihre komponierenden Zeitgenossen. Und unter diesen überspannt die Prägungskraft dieses Zugangs mehrere Generationen, noch bis an die Schwelle der Zeit Bachs.

Für all diese Menschen bestand der Unterricht darin, dass sie bestimmte allgemeine Grundlagen des praktischen Musizierens erlernten. Diese Regelwerke standen – kein Wunder – in spezifischen Schulbüchern. Besonders wirkungsvoll war dasjenige, das 1548 in Braunschweig von Heinrich Faber formuliert worden war; seine Schrift wurde im Lauf der Jahrzehnte teils fortgeschrieben, teils von Nachfolgern „adaptiert“ (plagiiert?). Treffend charakterisiert wurde diese Schrift als das musikalische Gegenstück zum berühmten Rechenbuch von Adam Ries (Riese).

Einesteils bedeutete dies, dass die Musik in breiten Schichten der Gesellschaft eine exzellente Verwurzelung hatte, und zwar eben auf gleiche Weise; andernteils liegt hier auch ein Zugang zum Musikverständnis, das hinter Kompositionen des 16. und 17. Jahrhunderts steht. Ohne den Zugang zu diesem Musikverständnis, das hinter Kompositionen des 16. und 17. Jahrhunderts steht. Ohne den Zugang zu diesem Musiksystem ist mitteleuropäische Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit daher kaum verständlich. Und nicht nur dies: Denn die Grundlagen dieses Musikverständnisses hatten damals schon eine mehrere Jahrhunderte überspannende Prägungskraft entfaltet und sich dabei kontinuierlich fortentwickelt: Sie gehören zum mittelalterlichen Erbe der westlichen Musikkultur.

So lassen sich mit diesem Seminar „mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen“. Im Seminar geht es teils darum, wie man „alte Texte“ lesen kann und wo es schwierig ist, sie zu verstehen. Ferner: Weil sie teils auf Latein vorliegen, teils in unterschiedlichen deutschen „Realisierungen“, kann man mit Erfolg versuchen, sich tiefer in die Sachlagen hineinzuarbeiten, als wenn man nur auf eine einzelne Schrift angewiesen wäre. Oder: Behandelt werden ja die Grundlagen dieses musiktheoretischen Systems, das wiederum (wie erwähnt) auf dem mittelalterlichen Musikverständnis basiert, und so dringt man auch zu diesem vor: zu Sichtweisen des Tonsystems, der Hexachordlehre und der Proportionslehre.

Weil aber all dies mit dem Anspruch geschieht, direkt auf die musikalisch-praktische Umsetzung hinzuarbeiten, können wir obendrein im Selbstversuch ausprobieren, wie weitgehend man mit diesen Informationen denn tatsächlich zu musizieren lernen kann: als Sänger*in, und zwar in einer Chorpraxis der Zeit. Schließlich, Stichwort „Praxis“: Tatsächlich gibt es auch Musikbeispiele in den Schriften, die mit den Stücken, aus denen sie stammen (in der Frühzeit von Josquin, später etwa von Schütz) in Beziehung gesetzt werden können. Also erfährt man auch etwas über die musikalischen Repertoires, in die sich junge Menschen des mittleren 16. bis mittleren 17. Jahrhunderts einarbeiteten.

Daraus resultiert eine ziemlich klare Anlage auch der Studien- und Prüfungsleistungen: Mit Studienleistungen können Teilnehmende zeigen, dass sie mit den behandelten Systemen eigenständig operieren können. Für Prüfungsleistungen (in Proseminaren) geht es dann um die Auseinandersetzung mit den jeweils benachbarten Musikrepertoires.